Freitag, 22. Februar 2013

Herbst... zum zweiten




Kein Wetter für Menschen mit Platzangst. Ein sturer beharrlicher Hochnebel, der wie eine schmuddelige Bettdecke über der Stadt liegt. Alle Geräusche sind dumpfer und viele Menschen gehen ein wenig gebeugter...
Aber wo war ich stehengeblieben? Herbst, genau. Und Lebenswendepunkte.

Manch einer kennt das gewiß auch, dieses Gefühl irgendwie neben sich zu stehen in einem Schub. Für die ersten Tage noch hoffend, daß alles nur ein seltsamer Traum ist aus dem man sicher bald aufwacht. In den nächsten Tagen begreifend, das es doch die Realität ist, die einen anschreit: Doch ich bin’s. Nein, du hast dich nicht geirrt!
Mein erster ernsthafter Schub fühlte sich zumindest so an. Erst die Fußsohlen taub, was man sich ja noch irgendwie schönreden kann, zumindest wenn man sich zehn Jahre lang nicht mit dem Thema MS auseinandersetzten mußte... oder wollte. Dann die Unterschenkel taub, Die Oberschenkel, der Po, der Bauch - von gehen nicht mehr die Rede vom Umdrehen im Bett am Ende auch nicht mehr...
Arzt, Klinik, Anschlußheilbehandlung, die erste Krankengymnastik meines Lebens, und etwas das sich Gangschule nennt, und von dem ich bis dahin nicht einmal wußte das es sowas gibt. In meinen sarkastischen fünf Minuten habe ich diese Veranstaltung dann in Kriechschule umgetauft. Das erschien mir im meinem Fall passender.

Nach Wochen dann - immerhin stehen und im Schneckentempo an Gehhilfen herumkrabbeln konnte ich schon wieder - endlich Zuhause.
Ich kann mich noch gut erinnern wie ich das Treppenhaus zu meiner Wohnung hochstaunte und mir im stillen sagte, das Dachwohnungen ohne Aufzug eine ziemliche unpassende Angelegenheit für jemanden sind, der sich an Krücken gerade mal so auf den tauben Beinen hält.
Was soll ich sagen. Ich steigerte meine persönliche Bestzeit treppauf in den kommenden Wochen von 25 auf stolze 9 Minuten. Mit Pausen auf den Treppenabsätzen, versteht sich, in denen ich oft laut lachen mußte und oft genug den Tränen der Wut ziemlich nah war.

Der Rest der Wohnung war auch nicht das, was man sich als Neugehbehinderte wirklich wünscht. Das Duschklo war - eben ein Duschklo. Zweieinhalb Quadratmeter zugige Gemütlichkeit. Praktisch war, daß man sich auf der Toilette sitzend theoretisch die Hände im Waschbecken und zugleich die Füße in der Dusche hätte waschen können, aber für derartige logistische Höchstleistungen war mein Gehirn zu der Zeit nicht ansprechbar. Sitzen alleine war schon genug Herausforderung, vom Aufstehen ganz zu schweigen...
Ansonsten gab es in meiner Wohnung gefühlte eintausend Türschwellen, eine Waschmaschine im Keller, eine Menge Lärm, keinen Wagen vor der Tür und keinen vernünftigen Laden in der Nähe.

Aber diese Äußerlichkeiten waren eher das kleinere Problem. In mir drin, tief in der Ecke in der das Nicht-wahrhaben-wollen wohnt, dort stolperte ich über weit mehr als eintausend Türschwellen...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen