Sonntag, 10. März 2013





Im Königreich der Zugluft

Klinikalltag
Sitzen üben
Aufrecht stehen üben
Aufrecht stehen üben ohne Halt und Hilfe
Menschen betrachten
Gedanken über die Zerrüttbarkeit des Lebens
Schicksale vergleichen
Befinden, daß es noch schlimmer sein könnte
Wohlbefinden will sich dennoch nicht einstellen
Sehnsüchtige Blicke aus dem Fenster
Es stürmt
Die Ostsee sieht jetzt aus wie ein echtes Meer
Surfer bei Windstärke 9
Extremsport...
Hoffen in einem halben Jahr
noch ohne fremde Hilfe auf die Toilette zu kommen
Mit einem Lächeln der erzwungenen Geduld
darüber nachdenken
wie unterschiedlich Lebensziele sein können




Ich habe einen Vogel...




Ich habe einen Vogel. Der ist groß, schwarz und ziemlich verfressen. Nun, wenn man es aus der Nähe betrachtet, ist es aber eher so, daß dieser Vogel mich hat...

Ein paar Monate nachdem ich in die Wohnung gezogen bin in der ich jetzt lebe, begann ich im späten Herbst damit die hiesigen Kleinvögel mit einer viel zu frühen Winterfütterung zu beglücken.
Ein wenig Platz in einem der Balkonkästen gemacht, ein handvoll Sonnenblumenkerne hinein gestreut - fertig ist das seelenentspannende Sonntagnachmittagsprogramm.

Auf die erste Meise mußte ich nicht lange warten. Meisen scheinen Sonnenblumenkerne auf 500 Meter gegen den frischen norddeutschen Wind zu riechen. Die Meise hüpfte keck heran wie ein gelb-blau-grauer Tischtennisball. Sie sah sich kurz um, warf einen langen Blick auf die Sonnenblumenkerne - nein sie sind nicht bissig - dann zack schnappte sie sich einen und flog schnell in die nahe Birke.
Das blieb nicht unbemerkt. Fünf Minuten später hüpften zwei Meisen auf den Balkon. Dann vier. Wie eine Zellkultur in einer Petrischale vermehrte sich die Meisenpopulation im Laufe des Nachmittags auf ein gutes Duzend.

Das ging nun viele Nachmittage so. Der Balkon war erfüllt von Sonnenblumenkernen, hüpfenden Federbällen und Meisengetschilp, bis irgendwann ein 700 Gram schweres Geräusch zu hören war. Das muntere Getschilp verstummt augenblicklich. Alle Federbällchen huschten in den nächstbesten Baum. Ich stand zufällig in der Nähe des Balkonfensters, sah hinaus, erschrak für Sekunden. Die große Rabenkrähe, die grade in den Sonnenblumenkernen herumstocherte, sah mich an, erschrak ebenfalls und flog davon.
In einem Kitschroman würde es man es jetzt so beschreiben: das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft...

Ich mochte Vögel schon immer und Rabenvögel mag ich ganz besonders. Daher war ich erfreut über diesen Besuch. Ich wohne am Stadtrand, neben einem Naturschutzgebiet und die Rabenkrähen hier sind scheuer als die, die in der Stadt leben. Aber jene große Rabenkrähe kam in den nächsten Monaten immer wieder auf meinen Balkon, um sich am Meisenfutter zu bedienen.

Nun nach ein paar Jahren hat mich die Krähe gut im Griff. Ich weiß was sie gerne frißt: Frolic, Fleisch, Nüsse und am liebsten Butter. Im Winter auch gerne mal Apfel und Banane und im Sommer Kirschen. An manchen Tagen begleitet sie mich auf dem Weg von der Haltestelle nach Hause, oder wartet bereits auf dem Balkon. Und in besonders friedvollen Augenblicken sitze ich auf dem Balkon und sie döst im Baum nebenan.
Es ist immer wieder ein schönes Gefühl, wenn dieser freilebende Vogel sich für Momente zu mir gesellt...

Dienstag, 5. März 2013

Ein neuer Spatz in der Hecke?




Leben mit MS bedeutet auch, daß man immer wieder mal ein seltsames neues Fremdwort kennenlernt.
Oszillopsie - das bedeutet, das man während man sich in Bewegung befindet, die Umgebung verwackelt oder verschwommen wahrnimmt. Diese Oszillopsie weist auf eine Schädigung des vestibulookulären Reflexes hin, womit ich beim zweiten Fremdwort bin.
Der vestibulookulärere Reflex ist eine feine Sache. Er sorgt dafür das unsere Augen eine Gegenbewegung vollführen, wenn wir den Kopf bewegen, und sorgt so für ein stabiles, sprich unverwackeltes Bild auf der Netzhaut.

Wie so viele Dinge im Leben, so lernt man auch den vestibuookulären Reflex erst richtig zu schätzen, wenn er nicht mehr da ist...

Ich habe zur Zeit einen Entzündungsherd im Hirnstamm der bei mir unter anderem zu einer Schädigung des besagten Reflexes geführt hat. Da ich seit dem von mir am Anfang des blogs beschriebenem Querschnittsschubes kein Gefühl und keine Tiefensensibilität mehr in den Füßen und Beinen habe, und zudem immer noch schwer ataktisch bin, behindern mich diese verwackelten Bilder doch schon erheblich.
Viele der alten Ausfälle konnte ich immer ganz gut durch optische Orientierung ausgleichen, was im Augenblick nicht wirklich klappt.

Eine meiner Schwestern hat sich mal gewundert warum ich immer so viel Dinge finde, wenn ich unterwegs bin: Geldmünzen, Geldscheine, hübsche Knöpfe, mehr oder weniger intakte Schmuckstücke. Das liegt daran, daß ich so viel auf den Boden schaue. Da meine Beine nur so annähernd wissen was sie tun, ist es besser den Weg vor den tauben Füßen auf Unebenheiten, Steine und andere Raffinessen zu scannen. Nur klappt das im Augenblick nicht. Wenn ich beim Gehen auf den Boden schaue, entstehen im Hirn laufende Bilder und zusammen mit dem Rest ein Dauerschwindelgefühl.

Früher in der Techniksteinzeit kam es ab und an mal vor das ein Fernseher ein Problem mit den Zeilen des Bildes hatte - dafür gibt es bestimmt auch ein schickes Fremdwort - wie auch immer man dieses Problem nannte, so führte es dazu das das Bild über den Bildschirm zu laufen begann. Meine verwackelten Bilder erinnern mich sehr daran.

Ich hätte nicht gedacht, das ich eines Tages mit geschlossenen Augen „sicherer" gehen würde, als mit geöffneten Augen.

Nun, verkriechen hilft nichts. Der Kühlschrank will gefüllt werden, die Hörbücher müssen in die Bibliothek und außerdem scheint nach Monaten mal wieder die Sonne. Da hilft nur tief durchatmen und auf wackeligen Beinen raus in die wackelige Welt - und hoffen das sich der Schub zurückbildet. Kein neuer Spatz nur ein Zaunkönig...
 
 

Samstag, 2. März 2013

Hoffnung...



Hoffnung -
mir in nicht enden wollenden Nächten
das Dunkel erhellen
weiter in Richtung Horizont blicken
wie fern der nächste Morgen auch sein mag
Rettung -
mir Schiff und Hafen sein
es aufnehmen mit jedem Sturm
und der Ruhe danach
Heilung -
in mir Stille finden, Stärke
aufrecht gehen - frei von Angst
loslassen
und
mit allen Narben auf Körper und Seele
ganz sein