Leben mit MS bedeutet auch, daß man immer wieder mal ein seltsames neues Fremdwort kennenlernt.
Oszillopsie - das bedeutet, das man während man sich in Bewegung befindet, die Umgebung verwackelt oder verschwommen wahrnimmt. Diese Oszillopsie weist auf eine Schädigung des vestibulookulären Reflexes hin, womit ich beim zweiten Fremdwort bin.
Der vestibulookulärere Reflex ist eine feine Sache. Er sorgt dafür das unsere Augen eine Gegenbewegung vollführen, wenn wir den Kopf bewegen, und sorgt so für ein stabiles, sprich unverwackeltes Bild auf der Netzhaut.
Wie so viele Dinge im Leben, so lernt man auch den vestibuookulären Reflex erst richtig zu schätzen, wenn er nicht mehr da ist...
Ich habe zur Zeit einen Entzündungsherd im Hirnstamm der bei mir unter anderem zu einer Schädigung des besagten Reflexes geführt hat. Da ich seit dem von mir am Anfang des blogs beschriebenem Querschnittsschubes kein Gefühl und keine Tiefensensibilität mehr in den Füßen und Beinen habe, und zudem immer noch schwer ataktisch bin, behindern mich diese verwackelten Bilder doch schon erheblich.
Viele der alten Ausfälle konnte ich immer ganz gut durch optische Orientierung ausgleichen, was im Augenblick nicht wirklich klappt.
Eine meiner Schwestern hat sich mal gewundert warum ich immer so viel Dinge finde, wenn ich unterwegs bin: Geldmünzen, Geldscheine, hübsche Knöpfe, mehr oder weniger intakte Schmuckstücke. Das liegt daran, daß ich so viel auf den Boden schaue. Da meine Beine nur so annähernd wissen was sie tun, ist es besser den Weg vor den tauben Füßen auf Unebenheiten, Steine und andere Raffinessen zu scannen. Nur klappt das im Augenblick nicht. Wenn ich beim Gehen auf den Boden schaue, entstehen im Hirn laufende Bilder und zusammen mit dem Rest ein Dauerschwindelgefühl.
Früher in der Techniksteinzeit kam es ab und an mal vor das ein Fernseher ein Problem mit den Zeilen des Bildes hatte - dafür gibt es bestimmt auch ein schickes Fremdwort - wie auch immer man dieses Problem nannte, so führte es dazu das das Bild über den Bildschirm zu laufen begann. Meine verwackelten Bilder erinnern mich sehr daran.
Ich hätte nicht gedacht, das ich eines Tages mit geschlossenen Augen „sicherer" gehen würde, als mit geöffneten Augen.
Nun, verkriechen hilft nichts. Der Kühlschrank will gefüllt werden, die Hörbücher müssen in die Bibliothek und außerdem scheint nach Monaten mal wieder die Sonne. Da hilft nur tief durchatmen und auf wackeligen Beinen raus in die wackelige Welt - und hoffen das sich der Schub zurückbildet. Kein neuer Spatz nur ein Zaunkönig...