Dienstag, 26. Februar 2013

Ich bin so müde...




Ein wirklich lästiges Symptom verbirgt sich unter dem hübschen Namen Fatigue (französisch für Müdigkeit). Naja, denkt sich manch Gesunder, müde sind wir alle mal.

Doch einfach nur „müde" trifft es hier eben nicht. Müdigkeit à la Fatigue fühlt sich für mich eher so an, als hätte jemand plötzlich meinen Netzstecker gezogen. Das Gehirn schaltet auf Akkubetrieb um - nur ist der dummerweise nicht richtig geladen. Woraufhin mein Gehirn matt lächelnd das kleine Standbylämpchen anknipst, und sich gähnend in einen ruhigen Winkel zurückzieht.

Im restlichen Körper macht sich derweil ein Gefühl breit als hätte ein Schelm meine Knochen mit Blei ausgegossen, während ein 63 Kilo schwerer Berner Sennhund es sich auf meinen Schoß gemütlich macht.

In dem Zustand ist alles eine Qual. Ich war nie gut in Physik, aber in diesen Momenten weiß ich ganz genau warum es Schwerkraft heißt. Ich könnte Seiten darüber schreiben welche Kraft diese Schwere hat, aber wie gesagt ist mein Gehirn grad nicht so gut drauf...

Wenn jemand einen kleinen Eindruck gewinnen möchte wie sich Fatigue in etwa anfühlt, so möge er am zweiten oder dritten Tag seiner nächsten Grippe an mich denken. Wenn man sich dann den Husten, das Fieber, die laufende Nase wegdenkt, bis nur noch diese elende Mattigkeit übrig ist, trifft es die Sache schon ziemlich gut.

Fatigue kann aber noch mehr. Fatigue läßt Geschirrberge wachsen, macht Fensterscheiben halbwegs blickdicht, vereint mit innenarchitektonischem Eifer die ehemals vielfarbige Einrichtung unter dezentem staubgrau.
Warum das so ist, kann jeder selbst herausfinden indem er am dritten Tag seiner Grippe versucht die großen Balkonfenster zu putzen...
Wo genau die Ursache von Fatigue bei MS liegt, ist wohl noch nicht so ganz geklärt. Es gibt verschiedene Hypothesen: vermehrte Anstrengung bei der Reizverarbeitung, Defizite bei der Bewegungsprogrammierung, vermehrter Energiebedarf des motorischen Systems usw..

Wenn es gut läuft, hilft bei mir ein 10 minütiges Starren auf eine Zimmerwand meiner Wahl, um mein schmollendes Gehirn aus seiner Ecke hervorzulocken. Wenn es gut läuft beschleicht mich der Zustand an einem Tag nicht allzu oft....

Als Gegenpol hilft mir Bewegung an frischer kühler, besser noch kalter Luft. Wobei ich bei der Gelegenheit allen Monaten mit einem „r" im Namen ein freundliches „Dankeschön" zuflüstere.

Montag, 25. Februar 2013

Der Grüne Gnadenhof

10 Cent

Im Großen und Ganzen mag ich meine Wohnung. Nur könnten die Fensterbretter gerne etwas breiter sein - und vor allem länger. Ich würde mich auch nicht beschweren wenn der Balkon über Nacht noch ein wenig wachsen würde, so ein, zwei, drei Quadratmeter.

Ich mag Pflanzen. Was man meiner Wohnung auch ansieht. In jedem Eckchen steht eine Pflanze, auf den schmalen Fensterbrettern daneben und davor, auf dem einem oder anderen Schrank... vom Balkon ganz zu schweigen.

Und oft, sehr oft, kommt es vor, daß ich im Discounter eigentlich schon zielstrebig die Kassenzone ansteuere und aus dem Augenwinkel heraus einen flüchtigen Blick auf die in der Nähe geparkten Pflanzenrollwagen werfe.
Und dann geschieht oft, sehr oft etwas das mit irgendeinem seltsamen Knoten in meinen Gehirnwindungen zu tun haben muß. Mein Blick fällt nicht auf die schönen, frisch und knackig aussehenden Blumen, sondern zielsicher auf jenes zerzaust, halbwelk und traurig aussehende Exemplar ganz hinten links...
Und jenes schon dem Müllcontainer geweihtes Ding rührt mich auf eine seltsame Art und Weise. Ein Variante von Helfersyndrom in grün.

So wie dieses hier:
 


Das wollte eigentlich eine Fuchsie sein. Die knackigen Brüder und Schwestern schon abverkauft, stand sie allein auf dem Rollwagen von Feinkost Albrecht. Ich nahm sie und suchte nach einem Verkäufer, weil ich wissen wollte was sie denn kosten sollte.

Der Verkäufer schenkte erst der Pflanze, dann mir einen langen irritierten Blick. „Die", sagte er ganz langsam, als sorgte er sich um den Zustand meines Gemütes, „die möchten sie kaufen?" „Jou" flötete ich, „da steht aber kein Preis mehr."
Es folgte ein weiterer langer Blick. „Okay", sagte er dann gedehnt und vermutlich rechnete er im Geiste die Anzahl der Schritte zusammen die er sich zum Müllcontainer sparen würde. „Verschenken kann ich die nicht, aber für 10 Cent können sie sie haben"

10 Cent erholte sich auf dem Balkon recht schnell und erfreute mich den ganzen Sommer und ich hoffe auch noch den nächsten.

Spatzen und Zaunkönige




Seit dem von mir beschriebenen Schub sind nun fast zehn Jahre vergangen und man kann der MS wirklich nicht nachsagen: das einem in ihrer Gesellschaft langweilig wird.
In den vergangenen Jahren habe ich einige mal mehr, mal weniger drollige neue Symptome kennengelernt. manche sagten nur mal kurz „Hallo", wie ein scheuer Zaunkönig am Wegesrand, manch andere nisteten sich dauerhaft ein wie Spatzen in einer Hecke.

Wenn ich mir meine alten Berichte durchlese, muß ich lächeln. Wenn ich an den Regenschirm denke, zum Beispiel, den ich damals als Gehhilfe nutzte, weil ich mich so vor meinem inneren Mode- und Stilberater wohler fühlte. Heute nutze ich meine Gehstöcke mit anatomischem Fischergriff so selbstverständlich wie Schuhe und erwische mich ab und zu dabei Menschen ohne Gehhilfe als irgendwie seltsam unvollständig zu empfinden.

Obwohl mir mein innerer Stilberater immer noch reinquatscht - wenn schon Stock, dann bitte hübsch. Es ist unfaßbar wie schwer es hierzulande ist, einen Gehstock in einer anderen Farbe als regenwettergrau oder pessimistenschwarz zu bekommen.
Ich habe mal eine Verkäuferin im Sanitätshaus gefragt warum die Farbauswahl bei den Stöcken so... eher bescheiden ist. Woraufhin sie mir mit leicht gesenkter Stimme zuraunte: „Es geht wohl darum nicht aufzufallen".

Ja, dachte ich, ja genau das ist es. Die Hersteller besagter Stöcke wollen tatsächlich nicht durch ansprechende Farben oder gar schicke Muster auf den Stöcken auffallen.
Man könnte ihre Ware ja gut finden oder sich sogar sagen: der ist aber nett, den will ich unbedingt haben.
Nein natürlich geht es nicht darum. Die Hersteller denken bei besagtem Auffallen eher an ihre Kunden. Ehrlich gesagt fällt jemand der wie ich, mit Mitte vierzig mit einem Stock in jeder Hand herumhumpelt eh auf - egal wie dezent die Dinger auch lackiert sind.

Die Engländer haben es in dieser Hinsicht gut. Dort gibt es Stöcke... mit rosa Rosen, mit nautischen Motiven, mit bunten Streublümchen, mit schottischen Karos, und... ach... mit Paisley in allen Farben...
Bis dieser Trend durch den Eurotunnel kriecht, bleibt mir nur Reflektorfolie und D-c-fix.

Freitag, 22. Februar 2013

Herbst... zum dritten




Immer noch Hochnebel. Ein Himmel wie eine Raucherkneipe
Habe heute den herbstmüden Rasen gemäht. Ich mag Rasenmäher. Rasenmäher sind für mich Rollatoren mit 4-Takt Motor. Okay, Die Dinger machen Lärm, riechen nicht besonders gut, aber sie geben mir Halt, ebnen mir sprichwörtlich den Weg, und sie ziehen keine fragenden Blicke auf sich, keine hinter dem Rücken getuschelten Worte. Außerdem gibt es sie in einer Farbauswahl jenseits von mausgraumetallic, aschenputtelantrazit und novemberhimmelfarben.

Meinen Rollator (staubgrau mit asphaltschwarzen Akzenten) taufe ich alle paar Wochen um. Ich empfinde das Wort Rollator als eine ziemliche Zumutung, welches in mir immer sehr seltsame Assoziationsketten auslöst. Terminator, Roboter... immer aber ist es irgendwas technisches, kabellastiges, gänzlich unlebendiges. Ich hab's schon mit Mobilette versucht, mit Rennhilfe, mit Bordsteinkantensuchgerät, oder Hilfsbereitschaftstestwagen.
Ich habe das Ding technisch ein wenig aufgehübscht. Eine kleine Klingel (ich bin tatsächlich nicht die langsamste in dieser Stadt), eine Halogenfahrradlampe (ist zwar nicht erlaubt, aber ich sehe im Dunkeln nicht mehr viel), ein Regenschirmhalter (braucht man hier im Norden), ein Stockhalter...

Ich weiß gar nicht mehr genau wie lange der Rolldings in der hintersten Ecke meiner Wohnung herunstand ohne daß ich ihn auch nur eines Blickes gewürdigt habe. Ich stolperte lieber an meinen Krücken durch die Welt. Das verschlechterte mein Gangbild, tat meinen Schultern nicht gut, sah aber immer so schön verunfallt aus, barg noch so etwas wie eine Hoffnung auf Besserung in sich.
Irgendwann nach diesem ersten ernsthaften Schub war ich soweit, das ich auch die Krücken nicht mehr brauchte (wollte, mochte), stattdessen mit einem Regenschirm herumhoppelte - auch bei blauem gänzlich wolkenlosen Himmel.

Dummerweise war das Gefühl in meinen Beinen auch nach einem Jahr nicht wieder zurückgekehrt und geringste Reize, wie zum Beispiel eine leichte Berührung mit einer Stuhlkante, lösten völlig unpassende unberechenbare Reflexe in den Beinen aus. Was soll ich sagen, der Weg zu der Erkenntnis, daß ein Regenschirm nicht im entferntesten als Gehhilfe taugt war mit blauen Flecken gepflastert.
Ich denke zu der Zeit (und auch heute noch dann und wann) empfand ich es als Niederlage zuzugeben, das ich einen verdammten Stock, einen Rollator brauche. Es passte so gar nicht in mein Selbstbild. Es beleidigte mein Ego.

Ich war immer schon ein Mensch der körperliche Bewegung liebt. Fahrradfahren, tanzen, lange, sehr lange Spaziergänge, Gartenarbeit... und eine zeitlang sah ich immer nur das was ich nicht mehr konnte, nicht das was ich trotz allem noch immer konnte.
Die Türschwellen in meinem Hirn waren hoch und nur zu oft schmiß ich wütend alle Türen zur Außenwelt ins Schloß, um mich schmollend in den hintersten Winkel meiner gekränkten Seele zurückzuziehen...

Herbst... zum zweiten




Kein Wetter für Menschen mit Platzangst. Ein sturer beharrlicher Hochnebel, der wie eine schmuddelige Bettdecke über der Stadt liegt. Alle Geräusche sind dumpfer und viele Menschen gehen ein wenig gebeugter...
Aber wo war ich stehengeblieben? Herbst, genau. Und Lebenswendepunkte.

Manch einer kennt das gewiß auch, dieses Gefühl irgendwie neben sich zu stehen in einem Schub. Für die ersten Tage noch hoffend, daß alles nur ein seltsamer Traum ist aus dem man sicher bald aufwacht. In den nächsten Tagen begreifend, das es doch die Realität ist, die einen anschreit: Doch ich bin’s. Nein, du hast dich nicht geirrt!
Mein erster ernsthafter Schub fühlte sich zumindest so an. Erst die Fußsohlen taub, was man sich ja noch irgendwie schönreden kann, zumindest wenn man sich zehn Jahre lang nicht mit dem Thema MS auseinandersetzten mußte... oder wollte. Dann die Unterschenkel taub, Die Oberschenkel, der Po, der Bauch - von gehen nicht mehr die Rede vom Umdrehen im Bett am Ende auch nicht mehr...
Arzt, Klinik, Anschlußheilbehandlung, die erste Krankengymnastik meines Lebens, und etwas das sich Gangschule nennt, und von dem ich bis dahin nicht einmal wußte das es sowas gibt. In meinen sarkastischen fünf Minuten habe ich diese Veranstaltung dann in Kriechschule umgetauft. Das erschien mir im meinem Fall passender.

Nach Wochen dann - immerhin stehen und im Schneckentempo an Gehhilfen herumkrabbeln konnte ich schon wieder - endlich Zuhause.
Ich kann mich noch gut erinnern wie ich das Treppenhaus zu meiner Wohnung hochstaunte und mir im stillen sagte, das Dachwohnungen ohne Aufzug eine ziemliche unpassende Angelegenheit für jemanden sind, der sich an Krücken gerade mal so auf den tauben Beinen hält.
Was soll ich sagen. Ich steigerte meine persönliche Bestzeit treppauf in den kommenden Wochen von 25 auf stolze 9 Minuten. Mit Pausen auf den Treppenabsätzen, versteht sich, in denen ich oft laut lachen mußte und oft genug den Tränen der Wut ziemlich nah war.

Der Rest der Wohnung war auch nicht das, was man sich als Neugehbehinderte wirklich wünscht. Das Duschklo war - eben ein Duschklo. Zweieinhalb Quadratmeter zugige Gemütlichkeit. Praktisch war, daß man sich auf der Toilette sitzend theoretisch die Hände im Waschbecken und zugleich die Füße in der Dusche hätte waschen können, aber für derartige logistische Höchstleistungen war mein Gehirn zu der Zeit nicht ansprechbar. Sitzen alleine war schon genug Herausforderung, vom Aufstehen ganz zu schweigen...
Ansonsten gab es in meiner Wohnung gefühlte eintausend Türschwellen, eine Waschmaschine im Keller, eine Menge Lärm, keinen Wagen vor der Tür und keinen vernünftigen Laden in der Nähe.

Aber diese Äußerlichkeiten waren eher das kleinere Problem. In mir drin, tief in der Ecke in der das Nicht-wahrhaben-wollen wohnt, dort stolperte ich über weit mehr als eintausend Türschwellen...

Donnerstag, 21. Februar 2013

Herbst





Wo beginnen? Vielleicht an dem Punkt an dem ich vor Jahren meinen ersten blog erstellte...


Einer der vielen Gründe warum ich heute beginne diesen blog zu schreiben, ist wahrscheinlich die Tatsache, daß ich vor ein paar Tagen zum x-ten mal eine dieser Hochglanzbroschüren in den Händen gehalten habe. Eine jener Broschüren, die immer in den Wartezimmern der Neurologen herumliegen. Vermutlich war ihr ursprünglicher Sinn der, daß sich mit Lektüre zum einen die unvermeidliche Wartezeit kurzweiliger gestaltet, und man sich zum anderen dabei gleich noch ein paar nützliche Informationen zum Thema MS anlesen kann.
Beides funktioniert bei mir nicht - obwohl - so richtig langweilig ist mir auch nicht nachdem ich eines dieser Heftchen in die Finger bekommen habe.

An schlechten Tagen (vielleicht sind es auch die guten), also an schlechten Tage kann ich diese Heftchen durchblättern und staunend den Kopf schütteln, weil ich mich immerzu frage, was diese Broschüren eigentlich mit mir zu tun haben sollten.
Da sind diese Bilder von meist recht hübschen. meist lächelnden Frauen mit dunkelblonden Haaren, denen oft ein meist hübscher, meist ebenso lächelnder Mann stützend und beschützend die starken Hände auf die Schultern legt. Wahlweise hält er die Frau auch an der Hand. Seite an Seite laufen sie über eine Sommerwiese...
Ein paar Seiten weiter sitzt eine dieser Frauen auf der Kante eines mit tadellos gebügelter Wäsche bezogenen Bettes, lächelt so milde als könnte der der ganze Irrsinn dieser Welt sie nie erreichen, und setzt dabei einen Autoinjektor auf ihren makellosen Oberschenkel.

Die Informationen, die ich im Augenblick brauchen würde finde ich in diesen Broschüren nicht. Wenn ich lächle, dann oft mit einer Spur Sarkasmus im Blick, Auf meinen Schultern liegen keine starken Hände, meine Haare sind rabenschwarz - und was meine Oberschenkel angeht... nun darüber schweige ich lieber...

Ja, denke ich, aber du bist eine von vielen und es könnte ja sein, daß irgendwer vielleicht diese Broschüren mit einem anderen Blick ansieht. Ja, denke ich, und mit dem festen Vorsatz meiner Umwelt (und Informationsbroschüren) gegenüber langmütiger zu werden lege ich das Heftchen beiseite.
Draußen vor den Fenstern leuchtet herbstbuntes Laub im pastellfarbenen Licht. Seltsam das ich den Herbst immer noch so sehr mag, obwohl ich mit dieser Jahreszeit meinen ersten schweren MS-Schub verbinde. Einen Wendepunkt in meinem Leben. Einer von vielen.

1993 hatte ich kurz hintereinander drei Sehnerventzündungen. Die Verdachtsdiagnose stand im Raum, jedoch war das MRT bis auf die Sehnerven ohne Befund und die Lumbalpunktion ebenfalls.
Zehn Jahre vergingen in denen ich das Wort Multiple Sklerose fast wieder vergaß. Das kurze Kribbeln mal hier mal da, schob ich auf Überarbeitung und auf meine maroden Bandscheiben.
Im Oktober 2003 holte mich ein Querschnittssyndrom binnen einer Woche von den Beinen und nun stand auch das MS-Wort wieder im Raum. Und für mich begann ein in jeder Hinsicht unvergeßlicher Herbst...